Es gibt einige Konferenzen, die wir gewöhnlich besuchen. Eine davon ist das ISAQB Software Architecture Gathering (SAG), das traditionell im November im H4 Hotel in Berlin stattfindet – so auch in diesem Jahr, vom 24. bis zum 27. November.
Als technologieagnostische Konferenz bietet das SAG weniger Deep Dives, dafür aber einen breit gefächerten und gut zugänglichen Überblick über den aktuellen „Architektur-Mainstream“ in Deutschland. Man trifft viele bekannte Gesichter und das Programm ist üblicherweise mit namhaften nationalen wie internationalen Sprecherinnen und Sprechern besetzt. In diesem Jahr etwa mit Bernd Ruecker (Co-Founder Camunda, mit – Überraschung – einem halben, aber sehr sympathischen Werbevortrag), Cheryl Hung (ehem. CNCF), Alistair Cockburn (Mitautor des Agilen Manifests) oder Gregor Hohpe (dessen launisch-meinungsstarke Vorträge ich seit jeher mag).
Der Nachteil dieser breiten und bewusst agnostischen Ausrichtung liegt allerdings auf der Hand: Viele Themen bleiben eher an der Oberfläche. Auch in diesem Jahr gab es ausschließlich Talks der Kategorien „Beginner“ und „Intermediate“ – wirklich neue Erkenntnisse sind dementsprechend selten.
Wir waren dennoch vor Ort – und möchten im Folgenden ein paar Eindrücke teilen.
Themenlandschaft: weniger AI-Dominanz als erwartet
Ein Blick auf die Agenda brachte die erste Überraschung. Trotz ordentlicher Präsenz war AI nicht erdrückend dominant – für eine Architekturkonferenz zur aktuellen Zeit fast wohltuend. „Nur“ ungefähr jeder sechste Talk drehte sich explizit um die Themen AI, wobei natürlich sehr viele Sessions das Thema zumindest gestreift haben. Im Sprachgebrauch des Gartner Hype Cycle sind wir nun wohl endgültig über den Peak of Inflated Expectations hinaus und arbeiten uns langsam, aber sicher, hin zu wirklichen und nachhaltigen Use Cases.

Statt GenAI waren sozio-technologische Fragestellungen oder auch der Dauerbrenner DDD in diesem Jahr wieder deutlich präsenter.
Auch Green IT, ein Thema, von dem ich mir vor drei bis vier Jahren eine dauerhafte Etablierung erhofft hatte und das spätestens vom energieverschlingenden GenAI-Hype ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden ist, war (für mich) überraschend präsent. Letzteres mag damit zu tun haben, dass das iSAQB seit vergangenen Jahr ein neues Modul „Green IT“ in seiner Advanced-Zertifizierung anbietet [1].
Vibe Coding, Verantwortung und Plattformarchitektur
Unter den Vorträgen ist mir der Talk „Vibe Coding Auth Without Melting Down!“ von Cheryl Hung besonders in Erinnerung geblieben [2]. Er ging der Frage nach, ob sich auch fehlerintolerante Bereiche wie Authentifizierung mittels Vibe Coding lösen lassen. Die Antwort: It depends. In ihrem Beispiel zeigte sie eine mit Claude Code generierte Authentifizierungslösung, die funktional war, aber typische handwerkliche Anfängerfehler enthielt – etwa die Verwendung veralteter Hash-Bibliotheken oder das unbeabsichtigte Leaken von Nutzerinformationen [3]. Das deckt sich sehr mit meinen eigenen Erfahrungen: Vibe Coding liefert einen erstaunlich brauchbaren, aber eben nicht fehlerfreien Ausgangspunkt [4].
Spannend war allerdings weniger der Code selbst, sondern Cheryls Vorgehen: Sie hat die Sicherheitslücken nicht eigenhändig gesucht, sondern Claude Code im einmal generierten Code gezielt nach Schwachstellen analysieren lassen – eine Vorgehensweise, die in der Praxis zunehmend eingesetzt wird [5]. Einerseits nicht unerwartet, andererseits irgendwie faszinierend – das LLM „weiß“ grundsätzlich von diesen Schwachstellen, muss aber erst in die richtige Richtung geleitet werden.
Damit bleibt Vibe Coding für mich auf einem Niveau, das signifikante Geschwindigkeitsvorteile ermöglicht – solange man den Leitsatz beachtet: Never vibe code an app you wouldn’t be able to code yourself. Ob das im Startup-Kontext immer beherzigt wird? We will see…
Als möglichen Lösungsansatz griff Cheryl das Konzept Shift Down Security auf. Während Shift Left als etabliertes Prinzip die frühzeitige Verlagerung von Verantwortung – etwa für Qualität, Tests, Sicherheit oder Architektur – in die Entwicklungsteams und in die frühe Phase des Entwicklungsprozesses beschreibt, setzt Shift Down an einer anderen Stelle an: Statt Verantwortung weiter nach vorne zu schieben, wird sie bewusst nach unten, also auf Plattform- und Infrastruktur-Level, verlagert [6][7].
Dort werden Sicherheitsmechanismen technisch und organisatorisch verankert – etwa durch vordefinierte, abgesicherte Base Images, verpflichtende Policies, vorstrukturierte Toolchains oder Plattform-Guardrails, die bestimmte Fehler (menschliche wie maschinelle) gar nicht erst zulassen. Dieser Gedanke deckt sich stark mit dem Prinzip sogenannter Enabling Constraints: Bedingungen, die nicht einschränken, sondern Qualität und Sicherheit gezielt ermöglichen [8].
Ein Konzept, das sowohl menschlichen als auch KI-basierten Entwicklerwerkzeugen hilft, typische Fehler gar nicht erst entstehen zu lassen. Und noch dazu ein netter Querverweis zum Talk von Michael Mahlberg war, in welchem Enabling Constraints eine wichtige Rolle einnehmen [9].
Der Übergang von Vibe Coding zu Shift Down war für meinen Geschmack etwas abrupt, zumal die gezeigten Authentifizierungsfehler kaum über Plattformmechanismen lösbar gewesen wären. Trotzdem ein sehr gelungener Talk mit einem prägnanten Beispiel sowie einem für mich neuen und interessanten Konzept.
Hexagons, Ports & Adapter
Auch der Vortrag von Alistair Cockburn zur hexagonalen Architektur [10] – laut ihm selbst eine der drei schlimmsten Benennungen von Architekturkonzepten überhaupt – war eine der Sessions, die gleichzeitig unterhaltsam, temporeich und technisch fundiert waren. Zum einen ist es schlicht faszinierend, den Urheber eines Architekturstils über Historie, Motivation und ursprüngliches Designziel sprechen zu hören. Zum anderen hat Alistair den Vortrag sehr geschickt mit konkreten Implementationsbeispielen aus unterschiedlichen Sprachen kombiniert.
Allein das Tempo machte den Talk für mich zum anspruchsvollsten Vortrag, den ich die Tage gehört habe – und damit zur willkommenen Abwechslung zu den insgesamt sehr gut gemachten, aber oft sehr einsteigerorientierten Sessions. Ein einzelnes fachliches Learning würde ich rückblickend gar nicht herausgreifen. Stattdessen hat sich mein Eindruck bestätigt, dass Port-&-Adapter-Architekturen zu den Stilformen gehören, mit denen sich jede Entwicklerin und jeder Architekt ernsthaft beschäftigt haben sollte (und spätestens dann versteht, wie ich von Hexagons zu Ports & Adaptern komme).
Fazit: Vor allem eine gute Orientierung
Was bleibt für mich am Ende vom SAG? Am Ende war es inhaltlich zumeist nicht revolutionär, aber durchaus wertvoll. AI war präsent, DDD sowieso – und manche Konzepte wirken erstaunlich robust gegenüber Hype-Zyklen. Vielleicht ist genau das der eigentliche Reiz des SAG: Man nimmt selten ein einzelnes atemberaubendes Konzept mit nach Hause, aber jedes Jahr ein etwas klareres Verständnis davon, warum sich bestimmte Ideen in der Architektur so hartnäckig halten. Und vielleicht reicht das völlig.
Referenzen
- iSAQB Advanced Level Module – Green IT
https://isaqb.org/certifications/advanced-level/green-it/ - Keynote: Vibe Coding Auth Without Melting Down!
https://conferences.isaqb.org/software-architecture-gathering/session/keynote-vibe-coding-auth-without-melting-down/ - Cheryl Hung – Vibe Coding Auth Without Melting Down (Slides)
https://www.slideshare.net/slideshow/cheryl-hung-vibe-coding-auth-without-melting-down-isaqb-software-architecture-gathering-2025-pdf/284317660 - Ein halber Tag im Leben eines Vibecoders
https://atra.consulting/engineering/ein-halber-tag-im-leben-eines-vibecoders - Passing the Security Vibe Check: The Dangers of Vibe Coding
https://www.databricks.com/blog/passing-security-vibe-check-dangers-vibe-coding - Shift-Down Security (SIG-Security Working Paper)
https://raw.githubusercontent.com/kubernetes/sig-security/main/sig-security-docs/papers/shift-down/shift-down-security.md - What is Shift-Down Security?
https://nirmata.com/2024/09/13/what-is-shift-down-security/ - The Magic Power of Enabling Constraints
https://www.scrum.org/resources/blog/magic-power-enabling-constraints - Now We’ve Given Them Every Freedom – and They Still Don’t Do What We Want
https://conferences.isaqb.org/software-architecture-gathering/session/now-weve-given-them-every-freedom-and-they-still-dont-do-what-we-want/ - The Hexagonal or Ports & Adapters Architecture
https://conferences.isaqb.org/software-architecture-gathering/session/the-hexagonal-or-ports-adapters-architecture/

Daniel Wochnik
Geschäftsbereichsleitung »Finanzdienstleistungen«
Daniel ist seit 2017 in der IT-Branche aktiv und bringt seine umfassende Erfahrung als Senior Managing Consultant und Geschäftsbereichsleiter für Finanzdienstleistungen bei atra.consulting ein. Besonders begeistert ihn das Zusammenspiel technischer, methodischer und organisatorischer Aspekte. Als leidenschaftlicher Läufer und bekennender 1. FC Köln-Fan hat er seine Leidensfähigkeit auch privat mehrfach unter Beweis gestellt. Seine Kunden unterstützt er als Softwarearchitekt, agiler Coach und Berater bei der nachhaltigen und zielgerichteten Umsetzung von Entwicklungsprojekten.
Weitere Artikel
c’t webdev conference 2025
Zwei Tage voller Frontend-Tiefgang in Köln Die Webentwicklung verändert sich rasant – aktuell vor allem…
ISAQB SAG 2025
Es gibt einige Konferenzen, die wir gewöhnlich besuchen. Eine davon ist das ISAQB Software Architecture…
Event-Rückblick: Java-Startzeiten optimieren
Vortrag im Office mit Karsten Silz Wie holen wir das Beste aus unseren Java-Anwendungen heraus?…
Wieso ich Retros nicht mehr mag
Und was ich daraus gelernt habe... Retrospektiven gelten als Herzstück agiler Teams – doch was,…
Conventional Commits und Semantic Versioning
Implementierung eines automatisierten Release-Workflows mit Conventional Commits und Semantic Versioning Manuelle Software-Releases stellen eine häufige…

Veränderung, die wirklich trägt: integrale Perspektive
Warum agile Transformationen oft scheitern… …und wie wir sie mit der integralen Perspektive zum Leben…
Ein (halber) Tag im Leben eines Vibecoders
Vier Stunden Vibe-Coding mit Lovable – ein Erfahrungsbericht zwischen Wow-Effekt, Warnsignalen
Erfahrungsbericht Workation
Sonne, Meer und stabile Verbindung – wie fühlt sich Arbeiten von unterwegs wirklich an? In…
Barrierefreiheit als Erfolgsfaktor – Wie Unternehmen langfristig profitieren
Das erwartet Sie in diesem Artikel Dieser Beitrag ist der dritte und letzte Teil unserer…
So wird eine Website barrierefrei – Die wichtigsten Maßnahmen
Das erwartet Sie in diesem Artikel Dieser Beitrag ist der zweite Teil unserer Serie zum…

